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Glücksmomente
Nonstop-Radtour Jena-Neustrelitz
 24. August 2021      2 Kommentare

Prolog


OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA]
Kaum von der Ostsee-Woche zurück, stehen schon die Fahrradtaschen für die jährliche Auslotung meiner Dauerbelastung im Sattel bereit. Als Gesamtpaket hat sich unter landschaftlichen und infrastrukturellen Aspekten die bereits mehrfach erprobte Strecke nach Usedom als optimal erwiesen, bis auf ein paar nervige Bundesstraßen-Abschnitte im letzten Drittel gibt es nix zu verbessern. Zudem muss ich nach zweimaliger Befahrung das Navi nun nicht mehr bemühen. ;-)

Di/Mi, 24./25.08.: Jena – Neustrelitz [350km]

Noch ganz im Urlaubsmodus beginnt halb 9 der Tag mit einem entspannten Frühstück. Kurzer Taschencheck, letzte Vorbereitungen und dann sitze ich dreiviertel 10 auf dem Bock. Bei kühlen 13°C unter einem dicht bewölkten Himmel startet die Tour klassisch auf dem Saaleradweg vorbei an Camburg und Bad Kösen. Kurz darauf setzt sich in Großjena (42km) die Sonne durch während ich das Saaletal verlasse und über Markröhlitz, Lunstädt und den Runstedter See auf direktem Weg nach Merseburg gelange. Auf der Höhe und im zunehmend flachen Profil hat jedoch die leichte Brise aus Norden leichtes Spiel und hindert mich permanent am zügigen Vorankommen, teilweise sind nicht mehr als 18km/h drin. Entsprechend schleppend geht es trotz des gut ausgebauten Radwegs entlang der B91 voran, gegen 14 Uhr gibt’s erstmal in Halle-Ammendorf (80km) eine kurze Apfel-Pause. Bis zum großen Kreisverkehr am Riebeckplatz folge ich der Hauptstraße schnurgerade durch die Stadt und anschließend über Frohe Zukunft zurück ins unverbaute flache Land, wo bereits der fiese Gegenwind lauert. Und so kämpfe ich mich auf topfebener Strecke vorbei an Brachstedt, Zörbig und Salzfurtkapelle, erst in der Mosigkauer Heide geht es windgeschützt auch mal wieder mit mehr als 20km/h voran. Wie im letzten Jahr lege ich am Netto in Dessau-Süd (130km) halb 6 eine größere Pause ein, fülle Getränke nach und genieße einen heißen Kaffee mit zwei leckeren Teilchen. Eine Stunde später wird bei Roßlau die Elbe überquert, die tief stehende Sonne kündigt bereits die nahende Abendstimmung an. Die nächste Etappe über verschlafene Dörfer wie Streetz, Garitz, Dobritz und Reetz führt mich auf sehr ruhigen Straßen durch den Hohen Fläming, trotz des welligeren Profils ist in den nahezu windstillen Wäldern ein deutlich zügigeres Radeln möglich. Mit dem kurzzeitigen Richtungswechsel gen Reppinchen fliege ich quasi dem Sonnenuntergang entgegen, im weiteren Verlauf nach Görzke und Gräben kommt dann aber schnell wieder die Gegenwind-Ernüchterung. Als gegen halb 10 vor mir die A2 mit der Anschlussstelle Wollin (195km) auftaucht, ist es nicht nur dunkel sondern auch kühl geworden und ich nutze den Burger King am Autohof für eine Pause zum Aufwärmen und Kalorien-Schaufeln, sehr angenehm. Gut gestärkt schwinge ich mich eine halbe Stunde später wieder in den Sattel und erreiche dadurch Brandenburg (210km) erst kurz vor 23 Uhr, dafür schimmert der Mond stimmungsvoll auf der Havel.

Der Mond bleibt mein Begleiter durch die Nacht auf dem Weg gen Norden. Dadurch wird es nie richtig dunkel durchs Havelländische Luch, dessen Einsamkeit nur alle paar Kilometer von Orten wie Marzahne, Barnewitz und Retzow unterbrochen wird. Gegen halb 2 Uhr ist Paulinenaue erreicht und damit der Anfang des Radwegs auf der Stillen Pauline nach Fehrbellin. Mittlerweile habe ich die vorsorglich eingepackten Handschuhe angezogen und die Kapuze der Regenjacke aufgesetzt um der Nachtkälte kurz über dem Gefrierpunkt zu trotzen. Solange die Beine ihren Dienst verrichten bleibt der Körper auf Betriebstemperatur. Trotzdem ist die Pause zwei Stunden später an der Total-Tankstelle am Ausgang von Neuruppin (280km) sehr willkommen, der frische Kaffee weckt die Lebensgeister und wärmt für ein paar Minuten. Anschließend habe ich auf dem Weg nach Rheinsberg die B122 erwartungsgemäß für mich alleine. Die Abkürzung in Zippelsförde entlang der Rheinsberger Rhin lasse ich auch heute wegen unklarer Bodenbeschaffenheit links liegen, der offenbar in Erneuerung befindliche Radweg bietet sich aber beim nächsten Mal als Abkürzung an. In Zechlinerhütte kommt ein leichter Hunger auf, da hilft ein Brötchen mit Knacker und auch vom Fahrrad zu steigen tut gut. Bei Überfahrt der Canower Schleuse ist sofort ein vertrautes Gefühl zur Mecklenburger Seenplatte präsent, auch wenn der Ursprung schon etliche Jahre zurückliegt. Dann taucht viertel 7 Wustrow (325km) vor mir auf, die Dämmerung erreicht ihr Maximum und ich genieße die ersten wärmenden Sonnenstrahlen auf dem Steg am Plätlinsee, unbeschreiblich schön und friedlich! Die Morgenfrische drängt jedoch zur Weiterfahrt, auf dem Sattel lässt es sich schon länger nicht mehr schmerzfrei sitzen und pünktlich mit dem neuen Tag frischt es aus Nordosten wieder kräftig auf. Entsprechend langsam komme ich über Wesenberg und Userin voran und freue mich auf ein leckeres Frühstück mit Rührei, Brötchen und Kaffee im Cafe Kornhus als ich gegen 8 Uhr in Neustrelitz (350km) eintreffe. Allerdings ist eine halbe Stunde später mein Akku weiterhin leer, der ständige Kampf gegen den Wind hat wohl zuviele Körner gekostet. Draußen ziehen dunkle Wolken am Himmel und die Aussicht auf Regenschauer während weiterer 8h für die noch fehlenden 120km ist wenig verlockend. Es muss ja irgendwo auch noch Spaß machen, deswegen breche hier die Tour ab und radel zum Bahnhof. Nach Umstieg in Stralsund und Züssow ist Zinnowitz gegen halb 1 erreicht. Mit Döner und einem Störtebeker Hanse-Porter geht’s zum recht leeren Strand, auch im Herbstwetter hat die Ostsee eine magische Ausstrahlung. Am Nachmittag checke ich im Usedom Palace ein und falle nach einer wohltuenden Dusche ins Bett. Der Donnerstag beginnt gut ausgeschlafen mit einem vielfältigen Frühstück, kurz nach 12 Uhr bringt mich der Zug und in 7,5h mit dem Quer-durchs-Land-Tickets (44EUR) ohne Zwischenfälle zurück nach Jena.

Tour-Eckdaten

  • Strecke: 350km (2190Hm) zumeist auf Nebenstraßen/Bundesstraßen
  • Fahrzeit: 18h:25m (22h gesamt, 09:45-07:45)
  • Getränke: 4l Wasser-Saft-Gemisch, 3 Kaffee, 1 Cola
  • Essen: 4 Energie-Riegel, 2 Bananen, 2 Brötchen, 4 Knacker, 3 Kuchen, Burger+Pommes, Gummibären

Kommentare [2]

  1. Micha schrieb am 9. Oktober 2021, 11:37 [#]

    Ich bin immer wieder begeistert von Deinen Belastungstests zu lesen. Mir schmerzt der Hintern bereits beim Lesen. Und ich freue mich schon 60km und 1200Hm schmerzfrei zu überstehen.
    Sehr schön!

  2. Matthi schrieb am 9. Oktober 2021, 21:27 [#]

    Ich glaube aber solche MTB-Touren wie Deine von Maspalomas in die Berge von Gran Canaria würden mich tatsächlich mehr plätten, ich bin halt eher der Straßenfahrer. Auch wenn offroad die Aussicht definitiv schöner und das Natur-Erlebnis intensiver ist. ;-)