Prolog
[© OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA]
Das Ende des Sommers naht, höchste Zeit also für die traditionelle Radtour zum Ostsee-Kurzbesuch. Zudem ist durch den letztjährigen Abbruch in Neustrelitz der Ehrgeiz geweckt mal wieder bis zur Düne im Sattel zu bleiben. Die bisherige Streckenführung bleibt bis auf das Umfeld von Neubrandenburg unverändert und ermöglicht auf den ersten 350km reine Kopf-Navigation.
Fr/Sa, 02./03.09.: Jena – Zinnowitz [461km]
Der Tag beginnt halb 7 mit den regulären Frühstücks-Vorbereitungen für die Kinder. Nachdem Arthur in die Schule gebracht ist, werden die Taschen gepackt und schon bin ich halb 9 startklar. Da kommt bereits Micha auf dem Rennrad angefahren um mich das erste Stück auf dem Saaleradweg bis Kaatschen zu begleiten. Während er dann auf den Ilmradweg abbiegt, geht für mich die Fahrt weiter gen Norden über Bad Kösen, Großjena und Markröhlitz. Statt mit Gluthitze beim Himmelswege-Marathon kämpfe ich heute hier mit spürbarem Gegenwind aus östlichen Richtungen. Zusätzlich bremst eine sandige Baustellen-Durchfahrt bei Pettstädt, umso rasanter erscheint dadurch die Abfahrt nach Lunstädt. Dafür wird es am Runstedter See durch Wurzelaufwürfe sehr holprig und auch der Ostwind schlägt mir auf dem Weg nach Merseburg erneut entgegen, wäre ja sonst langweilig. Diesbezüglich bringt der Radweg entlang der B91 etwas Entlastung, kurz vor dem Ribbeckplatz lege ich in Halle (84km/4h) die erste große Pause an einem Döner-Laden ein. Gut gestärkt verlasse ich die Großstadt über Frohe Zukunft, es folgt ein sehr landwirtschaftlich geprägter flacher Abschnitt mit Highlights wie Brachstedt, Zörbig und Salzfurtkapelle. Da erscheint das Eintauchen in die Mosigkauer Heide fast wie eine Erlösung, windgeschützt im Wald sind nun sofort vernünftige Reise-Geschwindigkeiten oberhalb von 20km/h drin. Gegen 15 Uhr ist Dessau-Süd erreicht (127km/6h30m), eine gute Gelegenheit wie üblich am Netto Getränke nachzufüllen und eine Kaffeepause einzulegen. Kaum ist die Bauhaus-Stadt durchfahren, wird es hinter der Elbe-Querung bei Rosslau wieder sehr ländlich und ich freue mich auf Straßendörfer wie Natho, Garitz, Dobritz und Reuden sowie etwas landschaftliche Abwechslung im Hohen Fläming. In Reppinchen zwingt mich eine gelockerte Schutzblech-Schraube zum Reparatur-Stopp inklusive Vorderrad-Ausbau, festgezogen kann die Tour über Görzke, Gräben und Wollin problemlos fortgesetzt werden. Die Sonne lässt den Horizont gerade wunderbar leuchten als ich in Brandenburg (210km/11h30m) ankomme und an der Steintorbrücke eine längere Pause einlege zum Getränke-Refill sowie Stärkung mit Banane, Brötchen und Knacker. Beim Verlassen der Stadt über die Jahrtausendbrücke hat sich bereits der Mond zur blauen Stunde gesellt. Auf der Landtraße durchs Havelländische Luch wird es nun dunkel und einsam, auch in den wenigen Orten wie Marzahne, Barnewitz, Buschow und Retzow schlafen schon die meisten Häuser. Ab Paulinenaue (250km/14h) bleibt mir auf dem Radweg entlang der Stillen Pauline dann nur noch der Mond als Begleiter.
Gegen Mitternacht ist Neuruppin erreicht, ohne Bedarf für eine Schlaf- oder Kaffee-Pause schluckt mich kurz darauf wieder die Nacht. Ein paar Kilometer später wage ich heute mal ein kleines Abenteuer und biege in Zippelsförde links auf den offenbar frisch asphaltierten Radweg, der mich wurzelfrei und geschmeidig nach Rheinsberg bringt. Wie üblich geht es hier weiter auf der B122 durch die Mecklenburger Seenplatte vorbei an Zechlinerhütte, Canow, Wustrow und Wesenberg. In Neustrelitz (340km/20h) deutet sich ganz langsam der neue Tag an, allerdings ist gegen 4 Uhr das Cafe Kornhus noch geschlossen und so muss ein wärmender Kaffee mit Baguette von der Aral-Tankstelle am Ortsausgang als Frühstück herhalten. Um dem nervigen Verkehr auf der B96 zu entgehen, biege ich in Blumenholz auf den westlichen Teil des Tollensesee-Radwegs ab. Leider entpuppt sich dieser durch viele sandige und wurzelige Abschnitte als sehr anstrengend zu fahren, da muss beim nächsten Mal eine Alternative her. Mit einem wunderschönen morgendlichen Farbenspiel über dem Tollensesee empfängt mich Neubrandenburg (370km/22h30m), auf einer Parkbank vorm Strandbad Broda gönne ich mir eine Viertelstunde Powernap. Anschließend sind die Akkus wieder etwas aufgetankt, der nördliche Stadtring und die Ihlenfelder Straße bringen mich zügig am Zentrum vorbei. Zur Vermeidung von Stress auf der B197 als vorletzten Abschnitt schlage ich mich westlich durch die Mecklenburgische Pampa mit verschlafenen Dörfern wie Neverin, Brunn, Beseritz, Rebelow, Spantekow, Blesewitz und abenteuerlichen Sandwegen rund um das Landgrabental. Mittlerweile wärmt die Sonne angenehm, da bietet die Peene-Brücke am Anklamer Binnenhafen (423km/25h30m) eine gute Gelegenheit für eine kleine Pause mit Power-Banane und Riegel. Die Nähe zum Meer ist bereits zu spüren, die Vorfreude wächst und mobilisiert nochmal versteckte Reserven. So geht es auch Dank eines kräftigen Ostwinds zügig vorwärts über Rubkow, Zemitz und Hohendorf, wo der Radweg nach Wolgast entlang der Bahnstrecke abbiegt. In der sowieso schon chronisch vom Autoverkehr verstopften Stadt findet gerade der Usedom-Marathon statt, das Blaue Wunder darf nur fußläufig überquert werden und auf dem folgenden Radweg entlang der B111 muss ich gelegentlich einzelnen Läufern ausweichen. Doch bald taucht das Ortsschild von Zinnowitz vor mir auf, die letzten Meter auf der Alten Strandstraße sind zum genießen und dann zeigt sich genau 12 Uhr die wunderbare Ostsee an der Seebrücke. Noch ein paar Strandaufgänge nach Osten rollern, Schuhe ausgezogen, die Füße im Sand eingraben und voller Glücksgefühle den Moment genießen – geschafft! Natürlich darf auch der herrlich erfrischende Sprung ins kalte Nass nicht fehlen. Am frühen Nachmittag checke ich im Hotel Seestern ein und stärke mich mit Backfisch sowie Apfelkuchen, bevor ich wieder zum Strand zurückkehre und bei einem Störtebeker Weizen den Wellen zuschaue. Am Sonntag beginnt gegen 10 Uhr nach einem gemütlichen Frühstück die Bahn-Rückfahrt mit dem Quer-durchs-Land-Tickets (42EUR), fünf Umstiege und knapp 8h später bin ich zurück in Jena.
Tour-Eckdaten
- Strecke: 461km (2920Hm) / 23h / 27h30m (gesamt)
- Getränke: 4l Wasser-Saft-Gemisch, 2 Kaffee
- Essen: 8 Riegel, 1 Tomate-Mozi-Baguette, 2 Brötchen+Knacker, 1 Döner, 4 Bananen, 1 Apfel, Gummibären