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Glücksmomente
Nonstop-Radtour Jena-Binz
 23. Juli 2017      4 Kommentare

Prolog

Radtour Jena-Binz Karte
OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA]
Nachdem Diana, Felix und Arthur bereits gestern mit dem Zug an die Ostsee vorgefahren sind, versuche ich mich an einer alternativen Neuauflage der Ostsee-Radtour 2016. Von einem ausgewiesenen Fahrrad-Routenplaner lasse ich mir im Vorfeld die kürzeste Strecke nach Binz auf Rügen erstellen, welche bis auf kleinere spontane Routenanpassungen an der Küste meinen Kurs vorgibt.

So/Mo, 23./24.07.: Jena – Binz [520km]

Radtour Jena-Binz

Basierend auf den guten Erfahrungen mit der Nachtfahrt vom letzten Mal kümmere ich mich dieses Jahr erst gar nicht um eventuelle Schlafmöglichkeiten. Damit kann auch der Start um 8 Uhr in Jena sehr entspannt stattfinden, kommt mir sehr entgegen. Vollbepackt mit der Lenkertasche sowie zwei Ortlieb-Taschen für Verpflegung, Getränke, Flickzeug, Wechselsachen und Regenjacke geht es zunächst wie gewohnt auf dem Saaleradweg vorbei an Camburg und Bad Kösen gen Norden. Im Weinberg hinter Kloster Pforta gibt’s gegen 9:45 Uhr nach 35km die erste kleine Pause. Bei Roßbach verlasse ich das Saaletal und wähle wieder den direkteren Weg über die Höhe, den leichten Anstieg nach Markröhlitz fliege ich dank eines kräftigen Rückenwinds mit 30 km/h locker hoch. Dieser wunderbare Südwest-Wind wird mir noch bis hinter Halle eine gelegentliche Hilfe sein, zudem bringt er angenehme Temperaturen um die 23°C mit sich. Nach der West-Umfahrung des Runstedter Sees auf einem etwas holprigen Radweg radel ich durch Merseburg und anschließend neben der B91 nach Halle bis zum Riebeckplatz. Hier ist zwangsläufig eine Pause fällig um den richtigen Weg durchs Zentrum über Halle-Thornau zu finden. Viertel 2 erreiche ich Zörbig mit 107km auf dem Tacho, der Stadtpark bietet eine gute Gelegenheit für eine längere Mittagspause mit Brötchen, Knackwurst und Apfel. Gut gestärkt und etwas regeneriert schwinge ich mich nach einer halben Stunde wieder in den Sattel, 30km später steht in Dessau-Roßlau die Überquerung des großen Elbestroms an. Nun verläuft die Route einige Zeit auf Nebenstraßen durch sehr viel Natur mit ein paar kleinen Dörfern, in Reetz gönne ich mir nach 175km mal wieder ein wohltuende Liegepause im Gras. Weitere 35km drauf empfängt mich in das Licht der Abendsonne getaucht Brandenburg an der Havel, hier gibt’s am Neustädtischen Markt etwas Energie-Nachschub mit Pommes und Burger vom Schachtelwirt. In der einsetzenden Dunkelheit strampel ich nun durch das Havelländische Luch, ab Paulinenaue führt ein wunderbar asphaltierter Radweg schnurgerade auf einer alten Bahnstrecke nach Fehrbellin. Dort nutze ich die letzten 20 Minuten bis Mitternacht für eine Liegepause in der Bushaltestelle, 14 Stunden nach Start sind jetzt 275km geschafft.

Radtour Jena-Binz

Einigermaßen erholt vom Powernap geht der Griff wieder an den Lenker. Um die Fahrt durch die nächtliche Mecklenburgische Pampa etwas abwechslungsreicher zu gestalten, lege ich mir den zweistündigen Live-Mitschnitt der Killers aus der Royal Albert Hall auf die Ohren. Dank der Powerbank von Martin gibt’s gegenüber dem letzten Jahr auch keine Akku-Probleme am Handy und ich kann mir solchen Luxus neben der Live-Navigation gönnen, yeah! Mit dieser kraftvollen musikalischen Unterstützung fliegen die Kilometer gefühlt nur so dahin. Gegen 3 Uhr suche ich mir trotzdem erneut eine Liegebank im absolut lichtfreien Dollgow bis mich die Nachtfrische eine halbe Stunde später aufscheucht. Mit der einsetzenden Dämmerung rollere ich halb 5 in Fürstenberg ein, da werden doch gleich Erinnerungen an die Bahnhofsnacht vor über 20 Jahren wach. Nun folgt eine etwas nervige Stunde auf der bereits stark befahrenen B96 ohne Radweg bis Neustrelitz, bei Kilometerstand 350 kehre ich in der JET-Tankstelle an der Strelitzer Chaussee für eine wärmende Kaffee-Pause ein. Mit neu geweckten Lebensgeistern navigiert mich das Handy ab Blumenholz über echte Schleichwege durch die mit Tau verzierte Natur. In Wolkow finde ich gegen halb 10 ein idyllisches Plätzchen am Dorfteich und genieße nach 390km eine zweite Frühstückspause in der wunderbaren Sonne. Anschließend kämpfe ich mich weiter über Tützpatz, Altenhagen und Sarow nach Demmin, wo sich beim Bäcker am Norma-Discounter ein leckeres Sandwich zum Mittagessen findet. Trotz jener Stärkung komme ich nun nicht mehr ganz so schwungvoll wie gewohnt voran, teilweise auch bedingt durch Nebenwege ab Levenhagen mit feinem mecklenburgischem Sand oder historischem Kopfsteinpflaster. Und so stellen sich die ersten Glücksgefühl ein, als gegen halb 3 die Ostsee mit der Glewitzer Fähre vor mir auftaucht. Nach der kurzen Überfahrt gilt es für die letzten 40km auf der Insel Rügel nochmal alle Energie-Reserven zu aktivieren, leider wird es zusätzlich zwischen Garz und Putbus aufgrund eines fehlenden Radwegs auch richtig nervig auf der stark befahrenen Straße. Über Zirlow und die B196 schwinden die Restkilometer bis zum Zielort Binz zusehends, kurz nach 17 Uhr ist das Seebad erreicht. Auf der Haupstraße schlängel ich mich zur Seebrücke vor, stelle das Rad ab und genieße den Moment des Erfolgs mit den Füßen in der Ostsee. GESCHAFFT! Nach und nach fällt die Anspannung ab und Müdigkeit macht sich langsam breit, Zeit im Hotel Schwanebeck mit großartiger Wohfühl-Atmosphäre einzuchecken und am Abend kurz bei der Familie in Prora vorbeizuschauen.

Tour-Eckdaten

  • Strecke: 520km zumeist auf Nebenstraßen oder Radwegen
  • Fahrzeit: 27h (33h gesamt)
  • Getränke: 8l Wasser-Saft-Gemisch, 2 Kaffee
  • Essen: 12 Proteinriegel, 1 Sandwich, 2 Hamburger+Pommes, 4 Äpfel, Süßigkeiten

Kommentare [4]

  1. Juja schrieb am 1. Dezember 2017, 09:46 [#]

    Da denk ich immer so “Nuja, Familienblog, wieder paar Urlaubsfotos und huch wie groß die Kinder sind”, und dann kommt da plötzlich sowas zwischenrein und ich brauch jetzt den restlichen Tag, um meinen Unterkiefer wieder in eine natürliche Position zu bringen ;) Hut ab!

  2. Matthi schrieb am 2. Dezember 2017, 09:01 [#]

    @Juja: kennst mich ja, gelegentlich fallen mir so komische Ideen ein ;) Und wenn ich mir erstmal was in den Kopf gesetzt habe, dann wird alle Energie in die Umsetzung gesteckt! :D

  3. Micha schrieb am 5. Dezember 2017, 13:24 [#]

    Das klingt immer so einfach. Aufsteigen, losfahren, ankommen. Glücklicherweise kenne ich meine Grenzen ;)
    Auf das Gegurke durch die Brandenburgische Pampa bin ich schon neidisch. Da sieht man sicher was.
    Wie auch letztes Jahr: Respekt!

  4. Matthi schrieb am 5. Dezember 2017, 22:32 [#]

    @Micha: auch wenn es verrückt klingt, aber es ist tatsächlich so einfach, man muss sich nur nach den immer häufiger und länger werdenden Pause wieder zwingen auf’s Rad zu steigen! ;)
    Ist aber eine wunderbare Erfahrung, man hat viiiiiel Zeit und Ruhe für die vorbeiziehende Landschaften und natürlich sich selbst.