Prolog
[© OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA]
Nachdem ich letztes Jahr im Anschluss zum Usedom-Marathon den Versuch einer Rückreise-Radtour nach 110km um Mitternacht aufgrund von Erschöpfung abbrechen musste, kommt heute wieder der ursprüngliche Ansatz für das traditionelle Radabenteuer zum Einsatz. Und auch wenn wir erst vor gut einem Monat im Familienurlaub eine Ostsee-Woche genießen konnten, ist erneut Zinnowitz das Ziel. Damit kann ich auf die bewährte und mittlerweile tief eingebrannte Routenplanung zurückgreifen, abgesehen von Alternativen zwischen Neustrelitz und Anklam zur Umfahrung der verkehrsreichen B96 und B197.
Fr/Sa, 29./30.08.: Jena – Zinnowitz [470km]
Deutlich später als sonst sitze ich gegen 15:30 Uhr im Sattel, der Start direkt nach der Ressourcen-Planung wäre aufgrund von durchziehenden Regenschauern suboptimal gewesen. Dafür geht es nun bei angenehmen 22°C mit leichtem Südwest-Wind und nur einer Gepäcktasche (Werk-/Flickzeug, Erste-Hilfe-Set, Zahnbürste, Windjacke, Wechselsachen, Wasserflasche, Riegel) aus Jena raus. Die ersten Kilometer auf dem Saaleradweg rollen schon fast automatisiert dahin, ein wohliges Gefühl von Aufregung und Freiheit macht sich breit. Ab Großjena wird es über Markröhlitz, Pettstedt und Lunstädt etwas hügeliger bevor Merseburg auftaucht. Zuverlässig bringt mich der Radweg parallel zur vierspurigen B91 nach Halle, hier bietet sich der Rewe in Ammendorf (80km/3h40m) für eine erste Pause an. Die Sonne steht bereits tief am Horizont, neben Energie-Nachschub mit Teilchen, Banane und Kaffee fülle ich auch die Getränke-Vorräte auf. Vermutlich sind ja während der nächsten 250km/12h keine regulären Supermärkte geöffnet. Eine umfangreiche Baustelle mit Straßensperrung im Stadtteil Frohe Zukunft macht kurzzeitig die Wegfindung spannend, dafür hält das nachfolgende Flachstück über Zörbig und Salzfurtkapelle kaum Aufregung bereit. Bei der Elbe-Querung in Roßlau (138km/6h50m) stehen erste Nebelschwaden in den Flußauen und es wird spürbar kühler. Zum Glück hat sich in den kommenden Ortschaften wie Streetz, Natho, Garitz, Dobritz, Reuden und Reetz die Tages-Restwärme angesammelt, zudem heizen die Anstiege im Hohen Fläming ordentlich ein. Über Reppinichen, Görzke und Gräben führen die Straßen weiter nach Nordosten immer den Polarstern am funkelnden Himmelszelt im Blick. Kurz hinter Wollin (196km/9h40m) lädt der A2-Autohof für eine zweite Pause mit Kaffee und Teilchen ein. Etwas erholt und gut gestärkt steige ich wieder auf den Bock, doch die nächste Überraschung wartet schon in Brandenburg wo nach der Ortseinfahrt die Planebrücke gesperrt ist. Die Ankündigungen und Umleitungs-Schilder zuvor hatte ich ignoriert in der Hoffnung irgendwie durchzukommen, was mit Akrobatik durch die Böschung dann auch gelingt. Trotz der späten Nachtstunde torkeln hier noch vereinzelte Personen im Zentrum, doch auf der Landstraße durchs Havelländische Luch über Marzahne, Barnewitz, Buschow und Retzow ist man völlig einsam unterwegs. Passend dazu folge ich ab Paulinenaue dem Radweg entlang der Stillen Pauline bis Fehrbellin, nun ist es nicht mehr weit bis Neuruppin und meiner dritten Pause an der TotalEnergies-Tankstelle (280km/14h30m). Heißer Kaffee, ein warmes Käse-Mozarella-Chiabatta und die morgendliche Dämmerung geben neue Energie und Lichtblicke.
Ein paar Kilometer hinter Alt Ruppin biege ich wie vor drei Jahren in Zippelsförde auf den wunderbaren Radweg entlang des Rhin nach Rheinsberg. Aufgrund des späten Tour-Starts lässt sich die Mecklenburger Seenplatte nun endlich mal bei Tageslicht erleben auf der B122 vorbei an Zechlinerhütte, Canow und Wustrow bis Wesenberg. Dort folge ich dem Radweg Berlin-Kopenhagen am Woblitzsee über Groß Quassow bis Neustrelitz (345km/18h). Mittlerweile ist es 9:30 Uhr und 75% der Strecke sind geschafft, perfekter Zeitpunkt für eine vierte Pause mit leckerem Rührei-Frühstück im Kornhus. Eine halbe Stunde später rollt der Hobel wieder, zunächst ein Stück auf dem Radweg parallel zur B96. Um dem nervigen Verkehr dort zu entgehen, lasse ich mich ab Blumenholz von der Beschilderung des Tollensesee-Radwegs leiten. Anfangs noch recht wellig mit kurzen knackigen Steigungen bleibt ab Klein Nemerow ein sanfter schattiger Waldweg am Seeufer, traumhaft. Das Augustabad begrüßt mich am Ortseingang Neubrandenburg, den Netto in der Lindenstraße nutze ich auch wegen der Mittagshitze für eine fünfte Pause (375km/20h) mit Banane, Buttermilch und Getränke-Auffüllung. Weiter geht es auf dem Stadtring und über die Demminer Straße gen Norden aus dem Getümmel. Nun folgen etliche Kilometer im Tal der Tollense, die gar nicht mal so verkehrsarme L35 wird nur unterbrochen von Neddemin, Altentreptow und Burow. In Klempenow wechsel ich auf die erstaunlich ruhige B199, quere die A20 und werde mit Rückenwind schnurgerade ostwärts nach Anklam geschoben. Kurz hinter der Einmündung zur B110 führt ein Radweg zwischen Peene und Stadtzentrum bis zur Peene-Tor-Brücke (434km/23h). Ab hier ist mir die verbleibende Wegstrecke durch Rubkow, Buggow, Zemitz und Hohensee gut bekannt, trotzdem zieht es sich nochmal bei schwindenden Kräften. In Hohendorf zweigt ein Radweg entlang der Bahnstrecke nach Wolgast ab, zusammen mit dem Salzgehalt und Meeresduft steigt die Vorfreude. Einmal durch die Innenstadt und dann sind es ab dem Blauen Wunder keine 10km mehr auf dem Radweg entlang der B111. Da ist schon Zinnowitz, auf die Strandstraße abbiegen und jetzt nur noch genießen bis die Seebrücke vor mir halb 5 auftaucht – GESCHAFFT! Überglücklich geht’s an den Strand runter, Hefeweizen ausgepackt, Badehose an und die erfrischenden Wellen der Ostsee mit allen Sinnen spüren. Für die erholsame Übernachtung habe ich das Hotel Kirschstein in Wolgast gebucht, dank der gepolsterten Radhose sind sogar die 10km zurück relativ schmerzfrei.
Tour-Eckdaten
- Strecke: 470km (2930Hm) / 21h36m (netto) / 24h56m (gesamt)
- Getränke: 4l Wasser-Saft-Gemisch, 3 Kaffee
- Essen: 8 Riegel, 3 Bananen, 4 Käsebrötchen, 1 Chiabatta, Rührei-Frühstück, 3 Gebäck-Teilchen, Gummibären